
In vielen privaten wie beruflichen Situationen geben wir Ratschläge.
Wir sehen einen anderen Menschen in einer schwierigen Situation. Vielleicht haben wir Mitleid, vielleicht bringt uns das Verhalten des*der Anderen selbst in Not, vielleicht liegt sogar Ärger für uns darin.
Also sagen wir: "Vielleicht solltest Du XYZ machen." Manchmal formulieren wir das stärker: "Es wäre echt angebracht, wenn Du ABC machen würdest." oder "Ich an Deiner Stelle würde DEF machen." Aber es geht auch ganz krass: "Du musst jetzt einfach GEH machen."
Viele dieser Ratschläge erfolgen ungefragt. Mit dem Ratschlag wird die Erzählung häufig beendet. Das kann den*die Erzähler*in sehr verletzen. Im schlimmsten Fall wirkt der Ratschlag übergriffig und trifft die Wirklichkeit des*der Beratschlagten nicht im Mindesten.
Einen Ratschlag geben, um sich selbst zu entlasten
Wenn Menschen ihre Sorgen + Nöte schildern, ist das für die Zuhörer*innen manchmal schwer auszuhalten. Sich auf die Welt des*der Anderen einzulassen, kann anstrengend sein. Viele geben dann vorschnell Rat. Sie meinen, damit zu helfen + sie befördern sich aus der Rolle des Zuhörens, Mitfühlens und Aushaltens. Die kann sehr anstrengend sein, vielleicht weil ein Teil in den Zuhörer*innen ähnliche Sorgen + Ängste kennt, vielleicht weil ein Teil sich vor den geschilderten Erfahrungen fürchtet.
Und dann entlastet der schnell gegebene Ratschlag, beendet er doch das für den*die Zuhörer*in unangenehme Thema.
Es geht auch anders.
Hilfreich + passend Rat geben

Gleichzeitig kann ja was Gutes in jedem gegebenen Ratschlag stecken. Menschen möchten eine positive Veränderung herbeiführen, jemanden in einer für diese*n schwierigen Situation beistehen.
Häufig wehren Beratschlagte Ratschläge mit "Das habe ich schon probiert", "Das funktioniert für mich nicht" oder mit "Du machst Dir das zu einfach." ab.
Wie schön wäre es, wenn der Ratschlag für den*die Beratschlagte*n passte.
Ratschläge können hilfreich sein, eine Veränderung auslösen. Sie können Impuls sein für Annehmen, für Veränderung, für eine andere Sicht auf die Dinge.
Damit Ratschläge diese Kraft entfalten können, ist es sinnvoll, sich auf die Welt des*der Beratschlagten einzulassen + zuzuhören. Und damit das funktioniert, gilt es, wirklich zuzuhören, nachzuspüren, zu erkunden.

Das ist nicht immer einfach. Wenn der Gegenstand der Sorgen + Ängste groß ist + potenziell auch den*die Zuhörer*in treffen könnte wie Existenzängste oder schwere Krankheiten, ist das Zuhören, Nachspüren + Erkunden vielleicht gar nicht so einfach für den*die (potenziell) Ratgebende*n. Wird er*sie womöglich beim Zuhören mit den eigenen Sorgen, Ängsten und Befürchtungen konfrontiert.
Diese zur Seite zu legen, erfordert Kraft, vielleicht Mut. Und vielleicht wächst beim Zuhören eine Idee, die den*die Erzählende*n weiterbringen könnte. Es gilt zu prüfen + abzuwägen, ob noch Zuhören dran ist - oder vielleicht der eigene Impuls. Das ist der Zeitpunkt zu fragen, ob der*diejenige gerne einen Rat hören möchte oder ob er*sie einfach nur erzählen möchte, wie es ihm*ihr gerade geht.
Schlechte Gefühle sind wie Scheinriesen, wenn wir über sie sprechen, werden sie kleiner.
Wenn dann der*die Erzählende bereit ist für einen Rat, dann könnte es sein*ihr Ratschlag werden. Zuhören, nachspüren, erkunden + Einverständnis zu einem Rat abholen - diese Mühen lohnen sich.
Nichts ist ein größeres Geschenk als der Ratschlag, der wirklich passt, einen Unterschied macht + Veränderung und Wachstum ermöglicht. Und dieses Geschenk ist für beide Seiten wertvoll + ein besonderer Moment.