Agiles Arbeiten bringt einen Paradigmenwechsel mit sich. Aus dem Plan heraus, hinein ins zielgerichtete Lernen, Fehler als Lernmomente begreifen, sich immer am Kund*innennutzen ausrichten.
Große Veränderungen im Verhalten, bei der Nutzung von Geräten und in der eigenen Wertewelt stehen an. Kurz: die Beteiligten nehmen eine Innovation an oder auch nicht.
In jedem Team, in jedem Organisationsbereich, in der gesamten Organisation wird es Nachzügler*innen geben, die sich aktuell nicht mit der Veränderung beschäftigen möchten -- und diese einfach als zum Beispiel "doof" oder "überflüssig" titulieren oder sich über die anstehenden Veränderungen hinwegschweigen.
Andere sind von der Idee der Veränderung begeistert, etwas angetan oder zumindest interessiert (diese finden in der ersten Hälfte der Innovationsannahme statt).
Nun ist die Unterscheidung zwischen Innovator*innen, ersten Anwender*innen, der frühen und späten Mehrheit sowie die Nachzügler*innen in der jeweiligen Coachingsitzung nicht immer einfach zu treffen.
Ein probates Mittel zur Identifikation der Teilnehmer*innen ist die Frage:
"als was bist Du hier, bist Du ..."
- ein*e Besucher*in
- ein*e Klagende*r oder
- ein*e Beteiligter dieses Lernmoments?
Die Abfrage sollte in der ersten Runde "halbanonym", zum Beispiel über eine Ein-Punkte-Abfrage, erfolgen. Die Antworten werden für die Beteiligten erhellend sein, ist doch mit dieser Abfrage klar, wer sich in den folgenden inhaltlichen Lernschritten im Paradigmenwechsel stark engagieren wird (und wer nicht).
Zum Identifizieren der Gruppen könnten auch die Fragen dienen:
- "Auf einer Skala von 1 (unfreiwillig) bis 10 (super motiviert), wie bist Du heute hier?"
- "Wo auf einer Skala von 1 (bei den Anderen) bis 10 (bei mir) sehe ich die nächsten Lernschritte?"
Die "Besucher*innen" + "Klagenden" werden echte Verhaltensänderungen nicht gehen. Sie brauchen eine andere Art der Würdigung oder der Aufgabenstellung:
Besucher*in | Klagende*r | Beteiligte*r | |
Verhalten |
Findet aktuelle Verhältnisse nicht verändernswert Hat keinen Veränderungsauftrag Ist (häufig) unfreiwillig dabei |
Hat Beschwerden im aktuellen System Sieht notwendige Veränderungen bei den Anderen |
Möchte aktiv Verhalten ändern |
Aufgaben | Keine Aufgaben |
Messen. Verhalten beobachten. "Was wäre wenn..."-Aufgaben |
Verhaltensänderungen (Experimente) durchführen Verhalten beobachten. |
Die Nachzügler*innen, die sich als Besucher*innen des Lernmoments zeigen, werden im ersten Schritt keine Verhaltensänderungen durchführen; sie werden sich höchstens einem Gruppendruck beugen. Diesem werden sie unter Protest und unter negativer Kommentierung des Vorhabens nachgeben. Herauskommen wird dabei voraussichtlich wenig.
"Anerkennen des Ist" ist die probate Antwort auf die Nachzügler*innen. Die Besucher*innen brauchen einen Blick auf das bisher Erreichte + Gemachte. Sie sehen keinen Veränderungsbedarf.
Es braucht deswegen aber keinen Blick nach vorne, keine Einladung, kein Überzeugen, kein Überreden, es braucht nur ein Blick auf das "Ist" - und vielleicht entwickeln sie daraus eine Klage oder
werden sogar zu Beteiligten. Das kann passieren, wenn die Besucher*innen bei der Sicht auf das Neue, verändernswerte Punkte entdecken. Das kann, dass muss nicht passieren. "Anerkennen des Ist"
ist ein Kommunikationsauftrag an alle (vielleicht in diesem Lernmoment, vielleicht danach?). Die Besucher*innen nehmen keinen konkreten Auftrag aus der Situation mit.
Die Klagenden sind mit der aktuellen Situation nicht einverstanden. Sie möchten eine Veränderung -- und sie erwarten diese bei allen anderen um sie herum. "Die da oben müssten mal..." heißt das
im überspitzten Fall, aber auch: "Wenn der Bereich ABC mal seine Aufgaben machen würde, könnte ich gut agieren."
Eine Veränderung mit Paradigmenwechsel ist für die Klagenden schlecht zu gehen: "Warum sollte ich mich verändern, warum soll ich etwas tun, wenn die Anderen schuld sind?" Damit diese Gruppe den Veränderungsbedarf für sich erkennen + die eigentliche Veränderung annehmen kann, braucht es eine
Wahrnehmung für das Gefüge. Aufgaben wie "Wie oft tritt das Problem wie genau auf?" können das Bewusstsein schärfen und Veränderungsbereitschaft genauso fördern wie Fragen wie "Was würde
passieren, wenn hier nichts passierte? Wie schaut dieses Team + dessen Ergebnis in zwei Jahren aus, wenn sich nichts ändert?"
Und schließlich gibt es die Beteiligten des Lernmoments. Diese einigen sich auf die ersten Schritte in eine echte Veränderung. Und probieren das neue Verhalten und können lernen. Nicht nur für sich, auch für die anderen. Die Ergebnisse sind spürbar, besprechbar, bewertbar. Womöglich werden so nach + nach aus Besucher*innen + Klagenden auch Beteiligte in der Veränderung.
Autorin: Judith Andresen
Agile Coachin + agile Organisationsentwicklerin
Autorin der Fachbücher "Retrospektiven in agilen Projekten", "Agiles Coaching" + "Agile Organisationsentwicklung"
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