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Vertrauen erlernt sich Schritt für Schritt.

Immer mehr Unternehmen führen Vertrauensarbeitszeiten oder Vertrauensurlaube ein.

Der Gedanke dahinter: Weniger Bürokratie, mehr Selbstbestimmung, mehr Zufriedenheit bei den Mitarbeiter*innen. Tatsächlich machen die Mitarbeiter*innen damit jedoch nicht nur positive Erfahrungen. Statt der Zufriedenheit wachsen die Überstunden, statt einem Absinken der Bürokratie sinkt die Zahl der genommenen Urlaubstage.

 

Hier wird deutlich: Vertrauen kann nicht angesagt werden. Vertrauensarbeitszeiten oder -urlaube schaffen nicht aus sich heraus Vertrauen. Beide Modelle setzen bestehendes Vertrauen zwischen den Beteiligten voraus.

Was bedeutet "Vertrauensarbeitszeit" + "vertrauensurlaub"?

Vertrauensarbeitszeit: Arbeitszeiten müssen nicht mehr aufgeschrieben und nachgewiesen werden. Es findet keine Prüfung und Kontrolle der Zeiten statt. Statt dessen wird darauf vertraut, dass jede*r die vereinbarte Arbeitszeit und ihren*seinen Beitrag aus eigenen Stücken leistet. 

 

Vertrauensurlaub: Die Urlaube werden im Team besprochen. Es findet keine Kontrolle der Urlaubstage statt. Statt dessen wird darauf vertraut, dass das Team für alle eine gute Lösung findet. Es wird davon ausgegangen, dass jede*r selbständig die Vorgaben im Blick behält und dass das Vertrauen nicht missbraucht wird.

 

Was dabei zu klären ist 

  • Wie wird Transparenz über An- und Abwesenheiten hergestellt? 
  • Wie organisieren die Beteiligten ihre Abwesenheiten untereinander? Welche Absprachen braucht es im Team?
  • Wie funktionieren Vertreter*innenregelungen? Braucht es diese überhaupt?
  • Welche Mindestvorgaben und Leitplanken gibt es? (zum Beispiel vorgegebene Anwesenheiten an bestimmten Tagen, Anzahl an parallel möglichen Urlauben, aber auch Anzahl der maximalen Urlaubstage pro Person)
  • Was passiert mit anfallenden Überstunden? Sind diese mit dem Gehalt abgegolten, werden sie abgefeiert, oder ist eine Auszahlung möglich? Hier wird noch einmal deutlich: Das setzt das Vertrauen voraus, dass die Überstunden wirklich erforderlich und angemessen waren. 

Diese Fragen gilt es im Prozess bewusst zu klären - durch Leitplanken, aber auch durch gemeinsames Herausfinden und Lernen. Denn nicht alle notwendigen Leitplanken sind vorher schon bekannt. Leitplanken "auf Halde" zu vereinbaren, ohne zu wissen ob diese überhaupt benötigt werden, ist in komplexen Umgebungen nicht sinnvoll. 

Was ungewollt passieren kann

  • Menschen arbeiten heimlich mehr als vereinbart
  • Menschen bauen Überstunden auf und nutzen Überstunden als Statussymbol
  • Menschen fordern von Kolleg*innen kontinuierlich Mehrarbeit ein
  • Menschen glauben, dass sie Präsenz zeigen müssen
  • Menschen fordern von Kolleg*innen Präsenz ohne Notwendigkeit ein
  • Menschen nehmen weniger Urlaub als vereinbart

 

Ich vertraue darauf, dass ich meinen Bedürfnissen folgen darf

Verschiedene Beispiele zeigen, dass eingeführte Vertrauensarbeitszeiten nicht selten zu (unbezahlter) Mehrarbeit + steigendem Druck führen. Es passiert immer wieder, dass eingeführter Vertrauensurlaub zu weniger Urlaub bei den Mitarbeitenden und mehr Urlaubstagen bei den Führungskräften führt.

 

Das möchte niemand. Das kann + soll nicht das Ergebnis sein. 

 

Aber wie kommt es dazu? Warum arbeiten einige Menschen (in machen Organisationen auch sehr viele Menschen) mehr, wenn eine sogenannte Vertrauensarbeitszeit ausgerufen ist? Warum machen sie weniger Urlaub als sie vorher vertraglich vereinbart hatten?

  • Manche erfüllen nicht formulierte Erwartungen. Sie beugen sich dem Druck, den sie aus der Organisation heraus spüren. Sie fühlen sich den anderen verpflichtet. Sie reagieren damit auf echte oder auch nur vermutete Erwartungen (Erwartungs-Erwartungen).
  • Manche erlauben sich schlicht nicht, weniger zu tun oder mehr frei zu nehmen. Sie haben den Anspruch an sich, alles perfekt zu Ende zu machen. Sie definieren sich über ihren Arbeitserfolg. Sie sehen nicht, wie sie diese Ergebnisse mit anderer Zeiteinteilung (am Tag, in Anwesenheiten) realisieren könnten. 
  • Manche glauben nicht, dass es für die anderen Kolleg*innen okay ist, wenn sie an dem betreffenden Tag nur kurz arbeiten oder spontan ein paar Tage freinehmen. Sie dürfen dies aus ihrer Sicht nicht wirklich.
  • Manche glauben nicht, dass die Arbeit auch ohne ihr Zutun erfolgreich bewältigt werden kann. Oder sie scheuen sich davor, dass andere dies erkennen.

In allen Fällen fehlt Vertrauen. Vertrauen in die Organisationen, in die Kolleg*innen, Mitarbeitenden , Vorgesetzten und/oder in sich selbst.

Das Vertrauen darauf, dass alle daran glauben, dass ich für mich gut entscheiden kann + werde - und dabei auch die Anderen fair im Auge behalte.

In vielen Organisationen herrscht in der gelebten Hierarchie auch heute noch eine Eltern-Kind-Kommunikation (im Sinne der Transaktionsanalyse). Kommunikation, die nicht auf Augenhöhe statt findet, zeigt sich zum Beispiel in der Verwendung entsprechender Vokabeln: "ausnutzen", "hinter dem Rücken", "wegducken", "artig sein", ... 

 

Und damit wird klar, das bloße Ausrufen von Vertrauen in Form von Vetrauensarbeitszeiten oder -urlauben führt nicht automatisch zu Vertrauen. Möglicherweise bedient es sogar ein latent vorhandenes Misstrauen. Um so wichtiger wird die Frage: "Was können wir alle, aber auch jede*r Einzelne jetzt dazu beitragen, damit wir gemeinsam vertrauensvoll das Experiment Vertrauensarbeitszeit / -urlaube starten können?" 

 

Damit das Experiment erfolgreich wird, braucht es mehr als das bloße Ausrufen von Vertrauensarbeitszeit oder -urlauben:

  1. Was sind Abbruchkritieren für das Experiment?
  2. Welche Hypothesen haben wir zur Einführung + beim Durchführen?
  3. Wie überprüfen wir diese mit welchen Lernzyklen in welchem Rhythmus?

Eine über Lernzyklen gesicherte Einführung wird Euch die erwünschten Erkenntnisse und Benefits bringen -- weil Ihr Euch gemeinsam in den Erfolg hineinlernt. Und auf dem Weg vor allen Dingen eines lernen werdet: Wie ihr Euch gut vertrauen könnt. 

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