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Was hat Cynefin mit dem Tic-Tac-Toe-Spiel zu tun?

Hallo,

ich bin Goetz, und ich möchte gerne eine meiner Interventionen mit Euch teilen.

 

Kurz zu meiner Person: ich arbeite als interner agile Coach im Geschäftsbereich IT für Die Techniker.

Ich bin Absolvent des ersten Laufs der Agile Coach-Ausbildung der BERATUNG JUDITH ANDRESEN, die mir Frank Griffel, mein Chef und Initiator der agilen Transition in der TK, ermöglicht hat.

Als agile Coach begleite ich Teams, die Organisation und Individuen in ihrer Veränderung im Sinne des agilen Manifests.

Team- und Organisationsentwicklung ist komplex.

Hier hilft das Cynefin-Framework weiter, indem es verschiedene Kategorien von Herausforderungen und Problemen definiert.

Folgende Kategorien - auch häufig Domäne oder Habitat genannt - werden unterschieden: Offensichtliches, kompliziertes, komplexes und chaotisches Habitat. Das fünfte Habitat ist die Unordnung.

 

Jedes Habitat, zu der eine Herausforderung gehört, beeinflusst die jeweilige Vorgehensweise.

 

Als Wahrnehmungsmodell ermöglicht das Cynefin-Framework den aktuellen Kontext zu verstehen und zu deuten, um eine geeignete Handlungsstrategie zur Handhabung des Problems auszuwählen.

 

Zu meinen Aufgabenschwerpunkten gehört die Moderation des Paradigmenwechsels von kompliziert zu komplex sowie das Thema Lernen. Die Forderung nach einer Lernkultur ist für mich Grundlage jeder agilen Arbeitsweise. 

Erzähle mir, und ich vergesse.

Zeige mir, und ich erinnere mich.

Lass es mich tun, und ich verstehe.

[Konfuzius zugeschrieben]

Da ich der Meinung bin, dass Können durch reflektierte Erfahrung in Form von Üben entsteht, habe ich mich im Rahmen meiner Abschlusspräsentation der Agile Coach-Ausbildung entschieden, eine Intervention zu entwickeln.

 

Die Inspiration für diese Intervention habe ich von einem Meetup mit dem Liberating Structures Pionier und Innovator Fisher Qua, der dort diese spezielle Tic-Tac-Toe Spielvariante vorgestellt hat.

 

Ich habe diese Spielvariante einerseits und das Cynefin-Framework andererseits kombiniert und diese Übung kreiert.

 

Am Beispiel des Tic-Tac-Toe-Spiels erleben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, wie sich eine Aufgabenstellung des Komplizierten Habitats von einer des Komplexen Habitats unterscheidet.

Sie lernen ebenfalls, dass im Komplexen-Habitat eine lernende Vorgehensweise den größten Erfolg verspricht.

Lasst uns Tic-Tac-Toe spielen

Spieldauer

Je nach Gruppengröße muss man mit einer Gesamtspieldauer von 25 Minuten rechnen – vorausgesetzt das Cynefin-Modell ist allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen bekannt. Ansonsten verlängert sich die Übungszeit entsprechend um die Dauer der Kurzeinführung des Modells.

 

Vorbereitung

Stelle im Vorwege sicher, dass alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein Grundverständnis des Cynefin-Frameworks haben.

 

erste Runde

  • Bitte die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich in Zweier-Gruppen im Raum zusammen zu finden.
  • Sage ihnen, dass sie gleich in der Gruppe gemeinsam Tic-Tac-Toe spielen werden.
    Frage, ob jemand das Spiel nicht kennt und erkläre gegebenenfalls allen die üblichen Spielregeln.
  • Erkläre nun die angepassten Spielregeln der ersten Runde: Ein Partner oder eine Partnerin zeichnet als Spielfeld jeweils zwei senkrechte und zwei waagerechte Linien in die Luft.
  • Bitte nun jedes Paar das Tic-Tac-Toe-Spiel in der Luft zu spielen.
    Wenn Teilnehmer und Teilnehmerinnen zunächst verblüfft sind oder gleich abwinken, ermutige sie, es wirklich auszuprobieren. 
    Meine Erfahrung zeigt, dass alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen das Spiel auch in der Luft so spielen als würden sie mit Stift und Papier spielen und das mindestens zwei Drittel aller Paarungen diese erste Runde meistern.
    Die Expertise, die hier benötigt wird ist eine gute visuelle Vorstellungskraft.           
  • Erhebe ein Gruppenbild, wie viele Paarungen das Spiel erfolgreich beendet haben. 

Zweite Runde

  • Bitte die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich wieder in den gleichen Paarungen im Raum zusammen zu finden.
  • Erkläre die Spielregeln der zweiten Runde: Ein Partner oder die Partnerin zeichnet als Spielfeld jeweils drei senkrechte und drei waagerechte Linien in die Luft.
  • Bitte nun jedes Paar das Tic-Tac-Toe-Spiel in der Luft zu spielen.
    Du wirst vermutlich feststellen, dass alle Paarungen sofort zu spielen beginnen. 
  • Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sie mit der unveränderten Spielstrategie "So wie beim letzten Mal" auch in diese zweite Runde starten.
    Meine Erfahrung zeigt, dass nach wenigen Augenblicken Lachen und Äußerungen wie "Das geht doch gar nicht!" zu hören sein werden und die Paarungen das Spielen einstellen.
  • Lasse die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gegebenenfalls weitere Runden spielen. Beobachte dabei, ob die Paarungen weiterhin an ihrer Vorgehensweise festhalten.

Debrief

Führe nach der zweiten Runde eine Gruppenreflexion durch und stelle folgende oder ähnliche Fragen.

  • Was ist Euch aufgefallen?
  • Was hat Euch überrascht?
  • Was war in der zweiten Runde anders?
  • Welche Spielstrategie habt Ihr in der zweiten Runde angewendet?
  • Warum habt Ihr Eure Spielstrategie in der zweiten Runden nicht angepasst?
  • Welchem Cynefin-Habitat würdet Ihr die jeweilige Spielrunde zuordnen?

Hinweis

Bei der Zuordnung der Spielrunden in eine der Kategorien gibt es keine korrekten Antworten - und das ist auch in Ordnung so. Das Cynefin-Modell ist lediglich ein Sense-Making-Framework.

 

Erklärung

Die Aufgabe Brötchen backen bedeutet für eine Bäckermeisterin etwas anderes als für mich. Eine für mich komplizierte Aufgabenstellung kann für eine Expertin einfach sein.

 

Nach der Reflexion wandere ich mit den Teilnehmern und die Teilnehmerinnen durch die verschiedenen Cynefin-Habitate und beschreibe, welche Tic-Tac-Toe-Spielvariante ich welcher Domäne zugeordnet hätte. 

Dafür beschreibe ich für das offensichtliche und chaotische Habitat lediglich, wie die Aufgabe ausgesehen hätte, da wir sie nicht gespielt haben. Wer viel Zeit hat, kann diese Runden gerne spielen lassen.

 

Offensichtliches Habitat

Diese Aufgabenstellung hätte die bekannte Stift-und-Papier-Variante repräsentiert.

 

Chaotisches Habitat

Hier ich hätte die Teilnehmer gebeten, das Spiel ohne Hilfslinien zu spielen. Nach den Erfahrungen der zweiten Runde geht bei der Vorstellung oft ein leichtes "Oha!" durch die Gruppe.

Zeit für ein Experiment

  • Definiere für die weitere Übung, dass die zweite Runde des Tic-Tac-Toe Spiels dem komplexen Habitat zuzuordnen ist.
  • Erinnere die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, dass sich Lösungen im komplexen Habitat nicht mehr durch eine Vorab-Analyse bestimmen lassen und als Vorgehen ein ausprobierendes, lernendes Vorgehen erforderlich ist. 
  • Bitte die Teilnehmer, sich unter den gleichen Bedingungen der zweiten Runde (drei senkrechte und drei waagerechte Luftlinien) eine Minute lang ein valides Experiment zu überlegen und lasse sie es spielen.
  • Folgende Lösungsansätze habe ich unter anderem beobachtet.
    • Teams orientieren sich zum Beispel an Fensterlaibungen,
    • sie nutzen ihre gestreifte oder karierte Kleidung oder
    • zeichnen die Luftlinien entlang ihres Körpers (linke Schulter, Körpermitte, rechte Schulter und Kopf, Bauch, Knie) nach. 
  • Ermutige die Paarungen ihre eventuell gescheiterten Experimente anzupassen oder neue Handlungsstrategien auszuprobieren. 
  • Führe zwei oder drei lernende Spielrunden durch.

Learnings

  • Bereits die Veränderung eines (System-)Parameters bewegt eine Problemstellung aus dem komplizierten in das komplexe oder sogar in das chaotische Habitat.
  • Unterschiedliche Typen von Systemen und Problemstellungen erfordern verschiedene Handlungsstrategien. 

Diese Intervention habe ich vor kurzem in unserem Intranet veröffentlicht, wo sie von Kollegen und Kolleginnen aus der Personalentwicklung aufgegriffen und von ihnen bereits erfolgreich eingesetzt wurde. Dabei ist folgende Variante entstanden, die sie mir zurückgemeldet haben.

 

„[..] Hallo Goetz,
vielen Dank für die super Idee! Wir [..] finden sie sehr gut geeignet, um das Cynefin-Modell zu veranschaulichen und ein Gefühl für die Kriterien für die einzelnen Habitate zu bekommen.
Die Spielphasen haben wir etwas variiert, vielleicht ist das auch für andere noch interessant:


Zuerst haben wir Tic-Tac-Toe normal, also mit Papier und Stift spielen lassen - das war gut zum Aufwärmen und wurde von den meisten als eher einfach wahrgenommen.


Die zweiten Phase haben wir mit 4x4 Feldern und Spielfeld auf Karten, aber ohne Stift und andere Hilfsmittel gemacht - das ging in Richtung kompliziert.


Die dritte Phase dann ohne Hilfsmittel "in der Luft" - was überwiegend als komplex eingeschätzt wurde; nachdem Muster vereinbart worden waren aber auch wieder als einfach oder kompliziert. [..]“

 

Diese Zusammenarbeit ist unter anderem ein Ausdruck dafür, dass wir nicht nur bei der Moderation des Paradigmenwechsels von kompliziert zu komplex eine gute und bereichsübergreifende Zusammenarbeit etabliert haben.

 

Wer noch Fragen zu meiner Intervention hat, darf gerne mit mir Kontakt aufnehmen: goetz.perry@tk.de.


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