Agil predigen

Im agilen Manifest heißt es zu allererst "Individuals and interactions over processes and tools". Das ist ein Grundsatz, der gerne von agilen Evangilisten vergessen wird, wenn sie die richtige Anwendung ihrer agilen Methode predigen.

Wenn es im Team mit einer bestimmten agilen Methode nicht gut funktioniert, gibt es zwei Wege damit umzugehen:

  1. Die Abweichungen zur Lehrbuchmethode identifizieren und eliminieren
  2. Ein für das Team passendes, neues Verfahren finden

Einige Spezialisten in agilen Methoden neigen zum ersten Weg. Die Feststellung, dass der "Product Owner seinen Job nicht macht" ist schnell und häufig getroffen. Genauso kann sich die Vorwurfswelt gegenüber dem Boardmaster aufbauen. Oder einer anderen Rolle. Bequem verweisen einzelne Team-Mitglieder auf das Unvermögen der anderen Beteiligten.

 Diese Haltung ist bequem. Diese Schuldzuweisung ermöglicht, dass die entsprechenden Personen keine Änderung erwarten können -- und in ihrem Verständnis weiter jammern dürfen. Damit bricht dieses Verhalten die oberste Direktive "... nach bestem Wissen, Gewissen und Kenntnisstand..."

 Alternativ kann sich der Unmut aber auch gegen Artefakte wenden: "Ich weiß nicht, warum ich Tickets, die nur für 15 Minuten leben, noch ausdrucken und an die Wand hängen soll" -- wenn der Sinn eines Artefakts nicht klar ist, wenn sich aus einem Ritual kein Mehrwert ergibt, wird das von der agilen Methode geforderte Vorgehen nicht erfolgen. Denn es ergibt einfach keinen Sinn.

 

Der zweite Weg ist zielführend und im Sinne des agilen Manifests. Sklavisch eine Methode zu predigen bedeutet nichts anderes, als ein bestimmtes Tool über die Menschen zu stellen.

 

Agil zu arbeiten, heißt, sich einer Wertewelt zu bewegen, die von einem positivem Menschenbild getragen ist. Entsprechend der obersten Direktive ist anzunehmen, dass alle den besten Job machen. Wenn dann was nicht klappt, muss das Team sich fragen, wie es damit umzugehen gedenkt.

 

Das führt zu einer hoher Erwartungshaltung an das Team. Komplexe Aufgaben sind für einen Einzelnen oder eine Einzelne nicht zu lösen. Komplizierte Aufgaben bekommen wir als Einzelpersonen hin -- für komplexe Probleme braucht es das Wissen und die Kompetenz eines Teams. Teams funktionieren dann gut, wenn die Team-Mitglieder sich über die Stärken und Schwächen bewusst sind und damit klug umgehen.

 

Agile Methoden erzählen davon, wie wir einen Arbeitsfluss für Teams herstellen können. Diese Modellierung der Arbeit muss passen: vorallem für die agierenden Menschen, aber genauso fordert das Geschäftsziel und das Unternehmen als solches seinen Tribut. Das muss alles passen. Das steht in keinem Lehrbuch. Das ist Eure individuell passende Methode.

 

Agile Methoden geben eine Idee, wie es sein könnte. Was zählt, ist eine positive Einstellung zum Vorgehen, eine positive Grundhaltung gegenüber den Beteiligten und der Wille, Dinge zu verändern, die nicht funktionieren. Mit Retrospektiven oder anderen Methodenbausteinen, die Lernen und Optimieren ermöglichen, wird dies gelingen.

 

Dabei ist nicht entscheidend, ob die verwendete agile Methode genau erfüllt wird. Entscheidend ist, ob die verwendete Methode in der gelebten Form für das Team sinnreich und zielführend wirkt. Wenn nicht, gilt es, diese so abzuändern, dass das Team gut liefern

kann -- und die Beteiligten sich in ihren Rollen und Aufgaben wohl fühlen.

 

Nicht mehr, nicht weniger.

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