Der Rhetorik- und Kommunikationstrainer Heiko Harthun klärt in einer Interview-Reihe Motivation und Vorgehen von Konferenzsprechern. Die gesamte Reihe ist in seinem Blog "ARGE Zeiten" zu finden.
Zur Dokumentation findet Ihr im Beratungsblog sowohl die Audio-Datei als auch das Transkript des Interviews mit Judith Andresen.
Das Interview als MP3
Heiko Harthun interviewt Judith Andresen (MP3) über die Motivation für, die Vorbereitung und Durchführung von Vorträgen.
Das Interview im Wortlaut
Heiko Harthun: Okay. Fangen wir mit Frage eins an. Kurz und knapp: Kannst du grob überschlagen, seit wie vielen Jahren du Vorträge hältst - und vor allem, zu welchen
Gelegenheiten?
Judith Andresen: Ja! Kurz und knapp wird das jetzt nicht. Ich habe angefangen, Workshops und Vorträge zu machen in der Jugendverbandsarbeit. Und da bin ich aktiv eingestiegen mit
fünfzehn. Das war das erste Mal, das ich vor großem Publikum gesprochen habe. Dann gab’s eine Zeit, in der ich eigentlich nur Reden gehalten habe, in meiner Funktion als
Landesjugendringvorsitzende. Was auch noch mal einen Tick anders ist, als tatsächlich Vorträge zu halten. Dann gab es eine Lehrerzeit, da kann man jetzt drüber streiten, was das jetzt eigentlich
ist. Aber man setzt sich zumindest mit Sprache im Raum auseinander - und mehr als nur One-to-One. Und dann hab ich ernsthaft wieder angefangen - jetzt wieder im Bereich IT und Marketing Vorträge
zu halten - vor drei Jahren - also seit drei Jahren sehr intensiv vor großem Publikum.
Heiko Harthun: Sehr schön! Für die meisten Menschen ist die Vorstellung, vor Publikum zu sprechen eine von diesen fünf großen Ängsten, die man haben kann. Warum bist du so
begeistert, dass du sogar freiwillig dazu übergegangen bist, Vorträge zu halten?
Judith Andresen: Tatsächlich habe ich diese Angst nicht. Ich hab zwar Lampenfieber, das ist etwas Anderes. Und ich mag diese Situation. Ich mag diese Situation: ich brauche vom Typ her
viel Anerkennung und die kriege ich da; insofern ist das eine coole Sache. Außerdem habe ich was zu sagen, davon hat das Publikum was. Ist also irgendwie ein gegenseitiger Deal.
Heiko Harthun: Wenn du sagst, du hast Lampenfieber, dann wär die nächste Frage direkt: Wie gehst du mit Lampenfieber um? Vor allem würde mich interessieren, wie du mit dem Thema
umgehst vor Vorträgen, auf neuen Konferenzen, wo du noch nicht warst oder das Publikum nicht kennst.
Judith Andresen: Ja, das ist tatsächlich noch schwieriger als sowieso Lampenfieber. Ich bin hinreichend nervös vor jedem Vortrag. Da kann ich auch eine Konferenz und das Publikum noch so
kennen: ich bin nervös. Und ich brauche das auch, weil mich das vor Fehlern rettet. Also ich glaube, ich müsste aufhören, Vorträge zu halten, wenn ich kein Lampenfieber mehr hätte. Insofern, ich
leide da wie ein Hund, und das ist eine schwierige Phase, aber das macht mich besser. Weil ich dann darüber nachdenke, was eigentlich mögliche Stolperfallen sind.
Unbekannte Konferenzen sind dann auch noch mal eine extra Herausforderung, weil ich sehr stark mit dem Publikum interagiere, und ich bin ein bisschen „lost“, wenn ich nicht weiß, wie die drauf
sind. Mein Trick ist, dass ich darum bitte, dass ich nicht die erste Vortragende bin, da deale ich mit den Konferenzausrichtern; und dann gucke ich mir das Publikum an. Und ich hab relativ häufig
mehrere mögliche Storylines im Kopf, die man akzentuieren kann, die man an das Publikum anpassen kann. Ich brauche es, das Publikum vorher gesehen zu haben. Also auf einer unbekannten Konferenz
die erste Vortragende zu sein, wäre die Hölle für mich.
Heiko Harthun: Da kann man nur hoffen, dass das nicht passiert. Der dich antreibende Gedanke bei einer Vorbereitung oder bei der Produktion eines neuen Vortrages - kannst du den
benennen?
Judith Andresen: Es geht um Wissensweitergabe. Ich finde es toll, wenn Menschen wachsen. Ich find es toll, wenn sie lernen. Ich bringe gerne Leute weiter. Und ich versuche einfach,
Dinge, die bei mir mal „Aha- Erlebnis“ waren, weiterzugeben. Und ich hoffe, dass das für jemand anderen auch ein „Aha- Erlebnis“ ist, dann kommt er vielleicht auf seinem Weg ein Stückchen weiter.
Motivation ist tatsächlich ganz stark dieses Weitergeben von Wissen und zu wissen, dass Leuten das gefällt und sie damit ein Stückchen weiterkommen.
Heiko Harthun: Du hast „Aha- Erlebnisse“ gerade erwähnt, ist dass der Ort quasi, wo du die Aufhänger und die Inspiration für einen Vortrag findest?
Judith Andresen: Ja, das ganz stark. Im Normalfall wird ein „Aha-Erlebnis“ erst mal zu einem Blogeintrag. Wenn ich das genügend ventiliert hab und womöglich drei kombiniert habe zu einem
„Oh, das ist eine Sorte“, dann wird da tendenziell ein Vortrag draus. Aber das ist es tatsächlich: Selbst erlebtes, Gehörtes von Leuten - das irgendwie kombinieren und daraus eine Geschichte
machen.
Heiko Harthun: Über die Jahre hinweg sind deine Vorträge, hoffentlich auch subjektiv empfunden, immer besser geworden. Was hast du über dich selbst im Umgang mit dem Publikum
rausgefunden, worauf konzentrierst du dich mittlerweile?
Judith Andresen: Erst mal zu den Vorträgen selbst: Ja, ich glaube, sie sind besser geworden, weil ich geschult worden bin. Also ich habe tolles Training gerade in meiner Arbeit erfahren.
Wo man auch viele Vorträge halten muss, viel präsentieren muss
Und das, was ich versuche, zu erreichen, ist der Satz, der bleibt: Ich möchte Wissen weitergeben. Ich möchte „Aha- Erlebnis“ vermitteln. Und das muss in einen Satz passen! Und der muss so sein,
dass jemand, der aus dem Vortrag rausgeht, sagen kann: „Es ging heute um..“ oder „Ich habe gelernt, dass…“ oder „Darüber muss ich nachdenken, dass …“ oder „Die hat behauptet, dass…“. Aber
dieser Satz, der muss halt bleiben. Und das versuche ich zu erreichen!
Um das sicherzustellen, interagiere ich relativ stark mit dem Publikum. Ich bin darauf angewiesen, und ich fordere das auch ein, dass das Publikum mit mir redet.
Heiko Harthun: Ja, ein Punkt, den ich später auch noch mal aufgreife. Wenn du spontan einen Vortrag halten sollst, oder sonst in irgendeiner Art und Weise improvisieren musst:
Was tust du und worauf greifst du zurück?
Judith Andresen: Die erste Frage, die ich mir selbst stelle: „Habe ich wirklich eine Geschichte, die ich erzählen kann?“ Also habe ich den Satz, der bleibt, und den Weg dahin? Also hab
ich eine Story? Und wenn ich die habe, dann schreibe ich die Story auf in Folien. Und dann ist das der Weg, an dem es langgeht!
Heiko Harthun: Wie viel Zeit brauchst du dann in etwa dafür? Wenn du die Story tatsächlich im Kopf hast? Also zum Beispiel auf einer Unconference, wo du quasi gefragt wirst, ob
du dazu irgendetwas sagen kannst?
Judith Andresen: Also: Wenn mir die Story wirklich klar ist und ich in dem Sinne nicht nachdenken muss - also das Thema nicht nochmal kaputt denken muss - dann, wenn ich also ein gutes
Gefühl für das Thema habe - dann brauche ich, um das in Folien zu gießen (die sind dann noch nicht perfekt und da sind noch keine Präsentationen drinnen), aber die Story stimmt. Ich würde sagen:
etwa eine Stunde oder anderthalb . Das ist nicht mehr viel.
Die eigentliche Arbeit steckt ja da drinnen, das Thema kaputt zu denken. Da brauche ich manchmal sehr lange. Da fange ich sehr früh an, Präsentationsfolien zu bauen. Zum Anfang sind es die
Kernaussagen, und dann wird’s ausgeschmückt. Und die Frage ist halt: Wann ergeben die Kernaussagen eine Geschichte? Und ist die Geschichte richtig? Und darüber muss ich oft nachdenken, viel
nachdenken. Manchmal sogar noch ganz viel lesen, mich mit Leuten unterhalten. Das ist ein mühsamer Prozess.
Heiko Harthun: Das kann ich mir vorstellen. Hast du schon mal einen Vortrag gehabt, bei dem wirklich alles oder zumindest viel schief gegangen ist? Wenn ja, wie hast du das
durchgestanden? Und wenn nein, wie bist du auf einen solchen Moment vorbereitet, sollte er mal passieren?
Judith Andresen: Also vorbereitet bin ich nicht. Aber ich weiß, es kann eine Menge passieren. Und dann muss man halt gucken, dass man spontan mit der Situation umgeht. Das was ich
dann mache, ist genau, das, was mir gerade passiert. zu artikulieren. Und ich teile dann dem Publikum mit, wie ich gewillt bin, mit dieser Situation umzugehen.
Es passieren einem halt “schlimme” Dinge. Ich kann mich erinnern, dass ich mal in einem Saal gestanden habe, in dem war die Beleuchtung ganz schlecht. Also ich war in so einem „Funzellicht“
- hinter mir ganz hell die Präsentation. Ich glaube, ich war sowieso schon schlecht zu sehen - und in dieser Situation ist dann auch noch das Mikro ausgefallen. Das ist ziemlich traumatisch, weil
ich dann anfangen musste, lauter zu sprechen. Ich habe aufgrund der Dunkelheit selbst das Publikum relativ schlecht gesehen - und dann Interaktion zu machen, ist, sagen wir mal, schwierig.
Die haben aber ganz fröhlich zurückgebrüllt, und wir haben dann irgendwie den Vortrag zusammen gemeistert.
Heiko Harthun: Das ist dann ja ziemlich gut gegangen. Bis auf wahrscheinlich die ersten fünf Minuten.
Judith Andresen: In den ersten fünf Minuten war es nur dunkel. Aber das Mikro ging noch. Die gefühlte Katastrophe passiert in Minute 6 oder 7 - und dann hatte ich noch vierzig
Minuten vor mir!
Heiko Harthun: Du hast es überstanden, gut! Und du machst weiter!
Judith Andresen: Genau, ich mach weiter! Und am Ende des Tages habe ich nur gesagt: “Das Mikro geht jetzt nicht, ich versuch jetzt lauter sprechen. Aber ich werde irgendwann leiser
werden - dann müsst ihr mich daran erinnern, dass ich wieder lauter spreche! Es tut mir sehr leid - wir müssen jetzt irgendwie hier durch.“
Und ich hab dann leise gebetet, dass der Beamer an bleibt, aber der hat funktioniert. Das hatte ich aber auch mal, das der Beamer ständig aus gegangen ist.
Was auch ganz schlimm war, ich habe mal eine Situation erlebt, da wurde der Vortrag gleichzeitig gefilmt. Und der Bereich auf der Bühne, auf dem man laufen konnte, der war nicht
abgezeichnet (der ins Bild passte). Und dann machte der Kameramann von hinten immer hektische Zeichen. Das war total schwer, irgendwie im normalen Vortragsfluss zu sortieren, was das jetzt
eigentlich heißt.
Heiko Harthun: Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Vor allem, wenn er das vorher nicht mit dir abgesprochen hat. Sondern das nur signalisiert!
Judith Andresen: Genau, das war für mich schwierig. Und seitdem ist es so, wenn es eine Kameraaufzeichnung gibt, frage ich ganz genau: “Wo ist der Bereich, in dem ich laufen kann?
Gibt es irgendwelche Lichtquellen, die ich beachten muss?” Also, da frage ich halt heute nach. Das habe ich halt gelernt. Sehr traumatisch gelernt.
Heiko Harthun: Du hast eben schon erwähnt, dass du Wissen weitergeben willst, dass du anderen Leuten helfen willst abeim Lernen oder „Aha- Erlebnisse“ selbst zu erleben.
Das bezieht sich jetzt auch ein bisschen auf diese Frage: Was ist dein intrinsisches Ziel bei Vorträgen? Gibt es da noch ein zweites, welches du noch nennen willst? Oder willst du das erst noch
mal deutlicher machen?
Judith Andresen: Von mir aus ist ein Motiv tatsächlich diese Wissensweitergabe. Was mich dabei aber treibt ist: ich glaube an selbstbestimmte und selbstbewusste Menschen! Und ich
beschäftige mich ja mit vielen Themen rund um Arbeitsmethodik und Projektkultur und Unternehmenskultur. Und ich glaube, dass jeder das Recht hat, in einem guten Umfeld zu leben und zu arbeiten.
Und da meinen Teil beizutragen: vielleicht Leute bewusster zu machen, vielleicht sogar selbstbewusster zu machen. Dass diese Dinge einfordern oder zumindest zu erkennen, in der Situation in der
sie sich befinden, das ist schon ganz starke Motivation.
Heiko Harthun: Also liegt es durchaus auch daran, dass die Leute wachsen?
Judith Andresen: Ja, und tatsächlich bekommt man ja außer einem Applaus am Ende eines Vortrages weiteres Feedback. Manchmal ganz unerwartet; dass jemand zu mir - mit Monaten
Verspätung - sagt: „Du, dieser Vortrag hat mich echt bewegt, und der hat mich weitergebracht! Und ich hab jetzt verstanden, wie die Situation mit meinem Chef ist.“ Oder „Ich krieg das jetzt
besser hin.“ Oder „Ich hab mich immer mit einer Kundin angezickt, und ich hab jetzt verstanden, woran das liegt, wir kriegen das jetzt besser hin.“ Und das ist schon toll, dass zu sehen. Dass
jemand anderes mit dem Wissen, das ich anbiete, ein Stück weit einen besseren Arbeitsalltag oder einen besseren Alltag hat.
Heiko Harthun: Ja, das ist sehr motivierend.
Andere Frage: Irgend eine Person hat ein grandioses Thema oder Projekt. Kommt damit zu dir, traut sich aber nicht, das entweder für eine Konferenz oder gleich einen Vortrag einzureichen.
Wenn du einen Satz hättest, den du dieser Person in den Kopf hämmern könntest, wie würde dieser lauten?
Judith Andresen: Hämmern empfinde ich ja als den falschen Weg.
“Trau dich!” Was man einbringen muss, ist eine Menge Schmerz. Man muss irgendwie seine eigene Angst überwinden. Das hat ganz viel mit negativen Gefühlen zu tun, und gleichzeitig kriegt man
so tolle Sachen zurück! Man kriegt ein Publikum mit, das einen unterstützt. Man findet womöglich jemanden, der für eine Idee mitstreitet.
Und das ist eine Form von Bezahlung, die wiegt die Schmerzen, die man auf dem Weg dahin hat, auf. Insofern würd ich immer sagen: Die Kosten-Nutzen-Rechnung fällt mit einem dicken Plus aus.
Und dann trau Dich; es ist gar nicht so schlimm. Es wird gut werden.
Heiko Harthun: Wunderbar! Ein Merkmal deiner Art, Vorträge zu halten, ist, dass du sehr viel Blickkontakt mit dem Publikum hältst. Du erzeugst, zumindest wenn ich im
Publikum sitze, und wahrscheinlich auch bei den anderen Publikumsteilnehmern, das Gefühl, dass Du tatsächlich mit mir sprichst, oder mit ihnen. Man fühlt sich persönlich angesprochen. Setzt du
das aus diesem Grund aktiv ein, um genau diese Wirkung zu erzeugen?
Judith Andresen: Nein, das ist tatsächlich Nebeneffekt. Das, was ich versuche, herauszukriegen, ist, ob Leute mich verstehen. Ich gucke deswegen sehr deutlich ins Publikum und
versuche auch zu interagieren und gucke mir auch Körpersprache an. Und das ist natürlich etwas, bei dem man sich bewusst wahrgenommen fühlt, weil man auch bewusst wahrgenommen wird. Tatsächlich
versuche ich, sowohl verbal als auch nonverbal, zu prüfen, ob meine Message ankommt. Und wenn ich merke, dass relativ viele im Publikum sehr zurückhaltend sind und sehr still sind, dann weiß ich
halt, ich hab die irgendwie verloren. Und dann muss ich halt noch einen Gang zurückschalten. Insofern ist diese bewusste Wahrnehmung eher ein Weg meiner eigenen Qualitätskontrolle, aber
gleichzeitig ist es halt für viele auch ein Weg, sich angesprochen zu fühlen, und die gehen dann auch in die Interaktion. Ich weiß gar nicht genau, wo da der Kreis anfängt, aber es scheint mir
einer zu sein.
Heiko Harthun: Das ist ein Synergieeffekt, würde man sagen. Du hast mir gegenüber mal erwähnt, dass du die Fragen aus dem Publikum haben willst. Und du sagtest jetzt ja
auch, dass du Interaktion brauchst mit dem Publikum. Hast Du für Dich Techniken entwickelt, auch ein reserviertes Publikum dazu zu veranlassen, während des Vortrages direkt schon Fragen zu
stellen?
Judith Andresen: Ja. Da würd ich gern noch vorwegnehmen, warum ich diese Interaktion für wichtig halte. Ich halte nichts von Vorträgen, wo jemand eine dreiviertel Stunde redet.
Weil die Behaltensleistung des Publikums ist dann relativ schlecht. Das, was ich gerne möchte, ist, dass Leute mitdenken. Und mitdenken tun sie, wenn sie mitreden. Tatsächlich ist es so, dass
meine Vorträge auch zu kurz sind. Die sind nicht für fünfundvierzig Minuten ausgelegt, sondern die sind vielleicht für dreißig Minuten Sprachanteil Judith plus Publikum-stellt-Fragen
ausgerichtet. Das mache ich halt, damit das Publikum mitdenkt. Tatsächlich ist es auch so, dass das ganz oft auch den lebendigen Teil hervorholt, weil meine Antwort im Normalfall eine Anekdote
ist. Wenn das das Publikum herausgefunden hat, fangen die übrigens an, Fragen zu stellen. Sie wollen dann mehr Geschichten hören.
Wenn ich jetzt so ein reserviertes Publikum habe, was mir gerade auf IT-Konferenzen, die mich noch nicht kennen, passieren kann - die sind dann womöglich gewohnt, dass man nicht so viel
sagt - dann steht da jemand und sagt: „Ey, ich brauch das, dass ihr Fragen stellt“. Dann mache ich so Abstimmungen. Dann sag ich: “Das Phänomen, dass ich gerade dargestellt habe, kennt ihr das?
Macht doch mal alle die Hände hoch, die das kennen!” Und dann ist da einer, der meldet sich besonders doll, dann sag ich: „Kannst du mal sagen, wie das bei euch war?“ So hole ich sie ins
Gespräch. Dann haben wir halt die erste Anekdote auf dem Tisch. Das kann ich dann irgendwie kommentieren, einbetten, und dann bricht es im Normalfall das Eis.
Heiko Harthun: Okay, da wäre dann auch wieder die Beobachtung des Publikums.
Ich habe einen Vortrag von dir gesehen, bei dem du gezwungen warst, am Rednerpult zu verharren. Zumindest ich konnte dir ansehen, dass dir das sehr schwer gefallen ist. Normalerweise sind
deine Vorträge eher davon geprägt, dass du dich viel im Raum und/oder auf der Bühne bewegst. Warum ist Dir das wichtig?
Judith Andresen: Also erst mal komme ich so näher an das Publikum ran, und mit dem will ich ja reden. Und ich kann besser denken, wenn ich laufe. Das ist jetzt ein total beknackter
Grund, aber für mich sind Rednerpulte die Hölle. Ich brauche die Bewegung, ich möchte Dinge zeigen können auf den Folien.
Und tatsächlich mache ich dann auch diesen klassischen Anfängerfehler, den ich weiß. Und ich erwische mich dann immer dabei. - Schön, die Metaebene läuft mit und sagt: “Hey, jetzt nimm mal
die Hände wieder vom Pult!” - Also ich krampf mich dann schön fest und interagiere mit dem Oberkörper. Sieht total schlimm aus, da muss ich mich wirklich drauf konzentrieren, das zu lassen. Und
daher versuche ich, mir den Freiraum zu erkämpfen, dass ich laufen kann.
Heiko Harthun: Ja, das ist ja auch schwierig, weils das Rednerpult verdeckt ja auch einen Großteil des Körpers. Da fehlt dann ja die Körpersprache, und wenn man dann das
Rednerpult auch noch festhält, fällt die Gestik auch noch weg.
Ich habe eine Frage drin, die sich auch noch auf ein Gespräch von uns bezieht. Wie sieht Deine Vorbereitung aus, wenn du Vorträge auf Englisch halten willst oder musst?
Judith Andresen: Also erst mal: wollen. Und dann: Das was ich mache ist im Wesentlichen auch das, was ich im deutschen Vortrag machen würde. Ich frag mich, was ist der Satz, der
bleibt, die Storyline schreib ich auf, das schreibe ich auf, das ist im Normalfall schon in Englisch aufgeschrieben, aber da muss ich dann noch mal durchkontrollieren, ob es dann alles so passt.
Dann fange ich an, eine Geschichte- falls ich noch nicht alles in Englisch hatte- zu übersetzen, dann kontrolliere ich gegen, ob die Story geblieben ist, weil da Sachen verloren gehen können,
gerade wenn man Sprachbilder hat, muss man ein bisschen aufpassen, ob das alles hinhaut.
Dann halte ich einen Probevortrag für jemanden, der ernsthaft Englisch kann. Ich bin zum Glück gesegnet mit britischen Freunden, und einem amerikanischen, das ist ganz praktisch. Denen kann
man das dann vorbeten.
Was ich auch mache: ich antizipiere mögliche Fragen und überlege mir Antworten darauf. Nicht, weil ich genau glaube, dass diese Fragen gestellt werden, sondern ich erreiche so, dass ich in
dem Umfeld meinen Vokabelschatz vergrößere. Ich lese sehr viel auf Englisch, und ich sehe sehr viele Filme, aber ein passiver Wortschatz ist etwas anderes als ein aktiver. Und dann arbeite ich
dafür, dass es dann auch reicht. Und das ist dann meine Vorbereitung.
Heiko Harthun: Du hast auch gerade wieder erwähnt, du verwendest in deinem Vortrag neben der Storytelling - Technik auch eine Weitere, die du „ Oma- erzählt- vom Krieg“
nennst. Du verwendest Anekdoten aus deinem Arbeitsalltag. Kannst du kurz schildern, warum? Oder was der Knackpunkt war, an dem du gemerkt hast: das funktioniert super?
Judith Andresen: Die Themen, die ich behandele - also Arbeitstechniken, Arbeitsmethodik, Projektkultur, Unternehmenskultur - sind erst mal abstrakte Dinge. Und das sind so Sachen,
wo ganz viele Leute sagen, ja, das unterschreibe ich, ja, genau so machen wir das auch. Um sich da womöglich nicht mit zu beschäftigen mit solchen Dingen. Und da helfen so Anekdoten, dass ins
Praktische runterzuziehen. Und viele erkennen sich natürlich auch in Anekdoten wieder oder haben dann eine Steigerung dazu. Und dann ist man sehr unmittelbar in der praktischen Anwendung dessen,
über was ich spreche. Und das macht es halt anfassbarer. Und dann glaube ich auch, dass es ganz oft hilft, wenn man als Referentin nicht diejenige ist, die da so gottgleich einschwebt, alles
superduper macht. Sondern Bekenntnisse zu eigenen Fehlern helfen auch, zu sehen, okay, man kommt aus der Nummer auch wieder raus. Und insofern hab ich halt einen reichen Anekdotenschatz, der viel
Scheitern und viel Schmerzen enthält. Und eben auch ein paar lustige Geschichten. Und damit kommt man dann ein ganzes Ende weiter.
Heiko Harthun: Wunderbar. Ich hab am Ende noch ein paar Leute aufgelistet, die ich schon befragt habe, die auch schon ein Interview mit mir geführt haben, und einige Leute,
die ich noch fragen will. Hast du noch weitere Vorschläge, fällt dir noch irgendjemand ein, den ich auch noch fragen könnte?
Judith Andresen: Ich glaub, deine Liste ist schon ziemlich cool, ehrlich gesagt. Insofern bin ich gespannt.
Heiko Harthun: Niemand, den du spannend fändest oder wollen würdest?
Judith Andresen: Also wen ich spannend fände als Vortragenden, weil er oft Sachen anders macht, ist Ulf Wendel. Das wäre vielleicht ein möglicher Kandidat. Und damit gebe ich dann
den Staffelstab weiter.
Heiko Harthun: Gibt es noch irgendetwas, dass du loswerden willst, was du mich fragen willst, oder eine Frage, die, wie du findest, ich nicht gestellt habe, aber
reingehört?
Judith Andresen: Ich will nur wissen, wann es veröffentlicht wird, wann man dann die anderen Interviews lesen kann.
Heiko Harthun: Sehr gut.
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Stephan Wießler (Freitag, 13 Dezember 2013 13:24)
Danke für das spannende Interview.
Grüße