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Agiles Coaching | Werte

Agile Coaches fördern die agile Transition in ihrem Umfeld. Agile  Transitionen finden auf unterschiedlichen Ebenen und mit einem unterschiedlichen Beteiligungsgrad der Gesamtorganisation statt. 

 

Agiles Arbeiten orientiert sich an einer schnellen Sichtbar- und Überprüfbarkeit direkt bei den Kunden, verschreibt sich der kundenzentrierten Denke -- und drückt sich häufig über Werte aus. 

Brauchen agile Coaches ein eigenes Wertesystem?

Für viele agile Coaches ist eine strikte Orientierung an der Coaching-Haltung gepaart mit einem klaren Auftrag ausreichend. Der agile Anspruch erwächst dann jeweils aus dem Auftrag. Falls der Auftrag für die Organisation nicht klar genug formuliert ist oder sich ein Team von agile Coaches ähnlich handeln möchte, ist eine weitere Orientierung an einem Wertesystem der Arbeit förderlich. 

 

Diese Wertesystem ist eine individuelle Antwort der agile Coaches auf ihre Arbeit und ihre Umgebung. Agile Coaches werden für sich übersetzen müssen, welche dieser Werte für sie zu leben sind. 

Vertraulichkeit

Coaches sichern Vertraulichkeit über den Gesprächsweg und die Ergebnisse von Coaching­ge­sprä­chen für Einzelgespräche zu. Diese Vertraulichkeit wird nur gebrochen, wenn Coach und Coachee darin übereinstimmen.  Die Vertraulichkeit des Coachinggespräches unterliegt damit der Vegas-Regel, wie Ihr sie aus agilen Retrospektiven kennt. 

 

Vertraulichkeit -- und deren Grenzen -- sind offen mit den Coachees auszuhandeln -- und mit den Auftraggebern / -geberinnen. Häufig wünschen diese sich sehr detaillierte Informationen, diese werden Coaches nicht liefern.  Dennoch kann es einen Informationsaustausch zwischen dem Coach und dem Auftraggeber oder der Auftraggeberin kommen. Warum das so ist und welche Informationen fließen dürfen , werde ich im Abschnitt "Auftragsklärung" erläutern. 

 

Vertraulichkeit herrschte auch in der Arbeit mit Teams oder Organisationsteilen. Erfahrungsgemäß wird eine geringere Tiefe in den Gesprächen erreicht. Entsprechend offener werden die Beteiligten über die Erfahrungen und Ergebnisse mit Kollegen und Kolleginnen sprechen. Das ist im Rahmen von Organisationsentwicklung gewünscht und gewollt. Für agile Coaches gilt auch hier Vertraulichkeit. Diese müssen für sich klar haben, was Teil eines vertraulichen Gespräches ist und welche Ergebnisse sie mit Anderen teilen können. 

 

 

Vertraulichkeit gilt immer gegenüber dem Coachee. Professionelle Coaches gehen regelmäßig in Supervision. Genau hier dürfen Coaches sprechen. Die Auseinandersetzung mit der Coaching-Haltung bedarf die Schilderung des Falls. Viele Coaches sprechen anonymisiert in Supervisionen über ihre Coachees. 

Wertesystem von Coaches im Allgemeinen

Neben der korrekten Coaching-Haltung beschreiben Coaches die Grundlagen eines Coachinggespräches zum Beispiel mit "Freiwilligkeit, Freiheit, Ressourcenverfügbarkeit, Selbststeuerung" (Quelle: Dr. Meier, Hamburger Schule). Andere nennen (Quelle: ICF)

ICF Coaches bekennen sich zu Verlässlichkeit, Offenheit, Akzeptanz und Kongruenz.

 

Agiles Coaching folgt neben der Coaching-Haltung Agilität als Wert. Alle agilen Coaches sollten für sich prüfen, ob und welche Aufladung sie über dezidierte Werte benötigen -- und welche Werte sich von selbst verstehen. 

Mögliche WerteSysteme für agile Coaches

Das "Agile Fluency"-Modell ordnet das ganz passend ein. Im Fernziel steht eine agile und lernende Organisation, die nach Andrea Provaglio auf den Werten

  • Selbststeuerung
  • Transparenz und
  • Feedback 

basiert. Aus diesem Wertesystem heraus lässt sich leicht die Arbeit als agiler Coach überprüfen:

  • Fördere oder unterlaufe ich die Bestrebungen der Selbststeuerung?
  • Fördere oder verhindere ich Transparenz?
  • Gebe und nehme ich zu den richtigen Zeitpunkten gewinnbringendes Feedback?

Grenzen haben diese Fragen, wenn die Distanz oder Dissoziiertheit fehlt. Wenn ich in das System verwoben bin oder eine fachliche Entscheidung besonders forciere, wird es mir schwerfallen, diese Fragen gut zu beantworten. Dieses Phänomen tritt in allen Wertesystemen auf.

 

Als mögliches Werte-System ist auch der aktuelle SCRUM-Guide (vom Juli 2016) nutzbar. Dieser referenziert erstmals auf SCRUM-Werte, die ebenfalls einen möglichen Handlungsrahmen für agile Coaches aufziehen:

When the values of commitment, courage, focus, openness and respect are embodied and lived by the Scrum Team, the Scrum pillars of transparency, inspection, and adaptation come to life and build trust for everyone.

Auch diese Werte helfen, die tägliche Arbeit zu überprüfen. Die Werte führen zu folgenden Fragen:

  • Zeige ich genügend Engagement? 
  • Bin ich mutig in meiner Arbeit?
  • Arbeite ich fokussiert genug?
  • Bin ich offen für neue und andere Lösungen?
  • Verhalte ich mich respektvoll gegenüber alle Beteiligten?

Dieses Wertesystem lebt stark von einer Rolle, die in einem Team (hier: SCRUM-Team) verankert ist. Agiles Coaches agieren möglichst dissoziiert -- eine feste Teamrolle einzunehmen ist hohe Kunst und erfordert viel Reflexion der Coaching-Haltung. Wie in Teil 1 angedeutet, verlieren interne Coaches, noch mehr feste agile Teamrollen, leicht den Abstand zu den beteiligten Menschen (und damit ihre Dissoziertheit vom System). Damit geht auch ihre Wirksamkeit verloren.

Da sich aber viele SCRUM-Teams diesen Werte unterordnen, ist zu prüfen, ob diese für einen selbst wertvoll sind. Wertvoll heißt: Ihr könnt schnell und einfach Handlungen und Entscheidungen aus den Werten ableiten. 

 

Viele Unternehmen formulieren als Ganzes eine Unternehmensvision und leiten daraus Werte und Leitlinien ab. Diese können von agile Coaches geprüft und für den Kontext des Coachings interpretiert werden. Dieses Vorgehen sorgt dafür, dass Ihr in der Organisation stimmig handelt. 

 

Bei allen Formulierungen gilt: "Weniger ist mehr". Wenn Ihr zu viele Werte für Euch formuliert, ist die tägliche Bearbeitung schwierig. Wer hat schon zwölf Werte im Kopf -- und bekommt ganz schnell die sich ergebenden Handlungsimplikationen heraus? Maximal fünf Werte haben sich in Praxis als sinnvoll erwiesen. 

FALLBEISPIEL: Werte der BERATUNG JUDITH ANDRESEN

Die BERATUNG JUDITH ANDRESEN (BJA) folgt der Firmenmission "Echte Zusammenarbeit möglich machen". Diese Mission unterstellt sich der Vision, dass "Kooperation die erfolgreichste Arbeitsform" ist.

 

Im Rahmen der Missionsentwicklung haben wir mit dem Harvard Vision Framework drei Kernwerte identifiziert:

  • Aufrichtigkeit
  • Fairness
  • Lernen

Flankiert werden diese Firmenwerte von den Unternehmenskompetenzen

  • Geduld
  • Mut
  • Inspiriation

In der täglichen Arbeit helfen uns die Mission, die Unternehmenswerte und -kompetenzen bei Entscheidungen und dienen uns als Entscheidungshilfe in Coachingprozessen. (Die Entwicklung der BJA-Mission ist hier beschrieben.)

 

Dabei gehen wir davon aus, dass die Werte "Aufrichtigkeit, Fairness + Lernen" uns für immer begleiten werden. Wir können uns eine Zeit vorstellen, in der es die Kompetenzen "Geduld, Mut + Inspiriation" nicht mehr braucht. Entsprechend ist die Auseinandersetzung mit den Werten intensiver als mit den Kompetenzen. Wir sind uns der hohen Anforderung bewusst, die sich aus den Werten ergibt. Genauso wissen wir um das Spannungsdreieck, dass durch die Kompetenzen "Geduld, Mut + Inspiriation" aufgezogen wird.

 

Wir haben um die Formulierung von Vision, Mission, Kernwerten und -kompetenzen gerungen. Interessanterweise reden wir selten im Alltag über die Vision: "Kooperation ist die beste Arbeitsform". Die hauptsächliche Auseinandersetzung rankt um die Werte.

 

Diese Werte und Kompetenzen helfen uns, auf BJA-Kurs zu bleiben. Unabhängig davon überprüfen wir regelmäßig in Einzel- und in Teamsupervisionen die Arbeitsweise als agile Coaches. In den Supervisionen fallen wir daher stark auf die Frage zurück, ob wir die korrekte Coaching-Haltung gelebt haben. Die Auseinandersetzung folgt der Frage, ob wir empathisch, distanziert und dissoziiert gehandelt haben. In den täglichen Entscheidungen ist die formulierte Mission genauso wichtig wie die Auseinandersetzung mit der Coaching-Haltung. 

 

Wir vereinbaren Vertraulichkeit und deren Grenzen explizit für alle Coachingprozesse. In Supervision klären wir, ob und welche Informationen wir an Auftraggeber und -geberinnen vermitteln. Wir liefern im Rahmen der Rückkopplung Bewertungen in Bezug auf den Auftrag. Verletzliche Informationen werden nicht weitergegeben. 

 

Mit der korrekten Haltung und einem gesunden Wertegerüst im Hintergrund werde ich in der nächsten Folge der Artikelserie den Ablauf von Einzelgesprächen erläutern.

 

Artikelserie "Agiles Coaching"

Teil 01 | Mit Haltung 

Teil 02 | Werte

Teil 03 | Aufgabe

Teil 04 | Coachinghypothese

Teil 05 | Agile Reifegrade



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