Wenn wir Unternehmen bei der Einführung von agilen Arbeitsweisen begleiten, hören wir immer wieder von Führungskräften „Super, dann ist es ja jetzt meine Aufgabe, mich überflüssig zu machen“ (das sind die Optimisten) oder „Oh weh, dann soll ich mich jetzt selbst arbeitslos machen!?“ (das sind die Pessimisten). Beides ist falsch! Die Führungskräfte werden weiter gebraucht. Die Rolle der Führungskraft ändert sich jedoch massiv im agilen Kontext. Die Herausforderung ist groß und bedeutet in vielen Fällen einen persönlichen Veränderungsprozess.
In vielen Stunden im heimischen EM-Studio ist mir folgende Analogie aufgefallen. In der Hauptrolle Jogi Löw als „Führungskraft“ der deutschen Herren-Nationalmannschaft:
Jogi denkt über die Strategie nach. Er entscheidet, wer aufläuft. ABER: Die Entscheidung fällt auf dem Platz!
Jogi Löw kann während des Spiels Einfluss nehmen. Mögliche Varianten sind, ruhig oder genervt auf der Bank zu sitzen oder wild gestikulierend am Spielfeldrand zu stehen. Er kann versuchen Einfluss zu nehmen, indem er Anweisungen auf den Platz schreit oder sich einzelne Spieler zur Seite nimmt. Er kann eines nicht: Er kann sich nicht ein weißes Trikot überziehen und auf den Platz laufen.
Wahrscheinlich würde er es hin und wieder gerne tun, aber er kennt die Regel und er berücksichtigt sie.
Ich stelle mir vor, der DFB wäre nach dem Weltmeister-Titel der Herren-Nationalmannschaft vor zwei Jahren auf die Idee gekommen, das Geld für den Bundestrainer oder eine Bundestrainerin einzusparen. Die Herren-Nationalmannschaft ist Weltmeister geworden, hatte sich also den Stempel „high-performing“ Team erworben und gut Fußball spielen können eh alle… trotzdem eine absurde Idee. Denn es gibt nach jedem Turnier Rücktritte, neue Spieler drängen sich auf, die Spielsysteme des modernen Fußballs ändern sich, neue KPIs werden eingeführt, zum Beispiel die Packing Rate.
Nein, Deutschland braucht weiter einen Bundestrainer oder eine Bundestrainerin! Das Umfeld ändert sich ständig und darauf müssen Antworten gefunden werden. Das können 22 Profi-Fußballer nicht in einem basis-demokratischen Prozess leisten. Zumal ja die 22 auch nicht vom Himmel fallen, sondern ausgewählt werden müssen.
Und genau so absurd, wie eine Nationalmannschaft ohne Bundestrainer oder Bundestrainerin, sind agile Teams ohne Führungskräfte. Es werden allerdings Führungskräfte gebraucht, die ihre Teams fit machen, das Spiel auf dem Platz zu gewinnen, weil die Teams dort flexibel Antworten auf die Widrigkeiten der Realität finden, zum Beispiel Gegner mit völlig unerwarteter Strategie, vernagelt erscheinende Tore, eigene Stürmer mit Formkrise. Was Teams nicht brauchen, sind Führungskräfte, die sich, wenn es eng wird, immer wieder das Trikot überstreifen, sich selbst einwechseln und dann das Spiel im Alleingang entscheiden wollen. Das bedeutet für viele einen persönlichen Veränderungsprozess: Sind doch die meisten Führungskräfte als Spielerinnen und Spieler groß geworden...
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